November 1989: Fall der Berliner Mauer, Symbol der kommunistischen Unterdrückung Osteuropas. Das friedliche Ende des Kalten Krieges - für Zeitgenossen wahrhaft ein Wunder -, das die wenigsten dem Wirken Gottes in der Geschichte zuschreiben. Im folgenden ein Rückblick aus der Sicht des Glaubens.
Das Ende des Kalten Kriegs im Jahr 1989 wäre nicht zu denken ohne den wesentlichen Beitrag von Christen verschiedener Konfessionen, den diese vor und bei der Wende leisteten. Viele deutsche Bischöfe erlebten die weitgehend friedliche Wende als Wunder des Wirkens Gottes, das kaum abzusehen war.
Blicken wir ein wenig zurück in die Geschichte: Zu Beginn der 80er Jahre schrieb Bischof Paul Hlinica in der Zeitschrift pro fratribus, daß die kommunistische Revolution kaum stattgefunden hätte, wenn nicht zuvor schon viele Christen ihrer Berufung zuwenig entsprochen hätten: Die kirchlichen Schulen seien vor allem den Reichen zugänglich gewesen, ebenso die Spitäler. Die geistliche und soziale Dimension des Christentums sei so einem oberflächlichen Aktivismus gewichen gewesen.
Schon zu dieser Zeit wäre eine Vertiefung des Christentums notwendig gewesen, wie der Aufruf zu einem authentischen Christentum an die Hirtenkinder 1917 in Fatima zeigt. Dort wurde ihnen mitgeteilt, daß echtes Christentum und intensives Gebet die Bedingung für den wahren Frieden seien. Leider verhallten diese Aufrufe und es kam später nach einer schrecklichen Wirtschaftskrise zum Zweiten Weltkrieg und in der Folge zu der verhängnisvollen Teilung Europas, die in einen ständigen Kalten Krieg mündete.
In den Ländern der östlichen Diktaturen machten sich bald Mißwirtschaft, Unterdrückung, Armut und Unfreiheit breit. So kam es in der DDR im Jahr 1953 zu einem Arbeiteraufstand, 1956 in Ungarn zum Aufstand und 1968 zum Prager Frühling. Alle diese Aufstände wurden vom Warschauer Pakt mit Hilfe der Sowjetarmee blutig niedergeschlagen. Einzig in Österreich wurde eine Diktatur abgewendet.
Dies schrieben damals viele Christen dem Wirken Gottes zu. So sagte Bundeskanzler Raab bei der Rückkehr von den erfolgreichen Staatsvertragsverhandlungen: „Wenn nicht so viel gebetet worden wäre, hätten wir das Ziel nicht erreicht.” Dieses lichtvolle Ereignis verlieh vielen Christen den Mut, ihr Christentum intensiver zu leben und mehr für die Einheit Europas und später auch für den Fall der Mauer zu beten.
In der Folge verhärteten sich jedoch die Fronten zwischen den Blöcken und die Unterdrückung wurde in den Diktaturen mit Härte weitergeführt. 1961 wurde zum Schrecken der Menschen hüben und drüben die Berliner Mauer gebaut. In der Folge des Mauerbaus meldeten sich übrigens hunderttausende Deutsche, um beim Rosenkranz-Sühnekreuzzug von P. Petrus Pavlicek mitzubeten.
Es gab in den verschiedenen Ländern immer wieder Dissidenten, den zaghaften Versuch, Gewerkschaften zu gründen und Widerstände auch in den Kirchen. Diese wurden jedoch meist brutal unterdrückt und konnten keine breite Wirksamkeit entfalten. Erst mit der Wahl des polnischen Kardinals Karol Wojtyla zum Papst im Jahr 1978 kam Bewegung in die starren Fronten. Seine erste Reise nach Polen glich einem Triumphzug, auch weil die Kirche in Polen durch ihr soziales Engagement für die Nächstenliebe und ihr authentisch gelebtes Christentum einen starken Rückhalt im Volk hatte. Immer wieder forderte Papst Johannes Paul II., der zwei schreckliche Diktaturen miterlebt hatte, die Menschenrechte für das Volk ein.
Die Erfahrung, daß diese Diktaturen Christus aus ihren Handlungen ausgespart hatten, ließ ihn bei dieser Reise ausrufen: ,,Man kann Christus nirgendwo auf Erden aus der Geschichte des Menschen ausschließen, gleich, um welchen Längen- oder Breitengrad es sich handelt. Der Ausschluß Christi aus der Geschichte des Menschen ist ein gegen den Menschen selbst gerichteter Akt.“ Immer wieder rief der Papst seinen Landsleuten zu: ,,Habt keine Angst! Öffnet, reißt die Tore auf für Christus!“
Angesichts der Nachrüstung mit SS-2o-Raketen Ost und Pershing-II-Raketen West hatte ihn damals so mancher als weltfremden Phantasten betrachtet. Die Sprengkraft seiner Freiheitsbotschaft, die den Widerstand der überwiegend kirchentreuen polnischen Katholiken leitete, hatten damals wohl alle in Ost und West unterschätzt. Am Vorabend des Pfingstfestes rief er, aus ganzem Herzen Gott bittend, aus: „Ich, ein Sohn polnischer Erde und zugleich Papst Johannes Paul II., ich rufe aus der ganzen Tiefe dieses Jahrhunderts, ich rufe am Vorabend des Pfingstfestes: Sende aus deinen Geist! Sende aus deinen Geist! Und erneuere das Angesicht der Erde! - Dieser Erde!“
Mit dem Hirtenstab auf den Boden des Siegesplatzes sto_ßend, markierte er für alle unmißverständlich, welche Erde er meinte, wobei das polnische Wort „ziemia” nicht nur Erde, sondern auch Land bedeutet. Also: ,,Der Geist Gottes erneuere das Angesicht dieses Landes!“ Damit meinte er aber nicht nur Polen, sondern ganz Europa und auch die Welt.
In der Folge des Besuchs kam es im Jahr 1980 zur Gründung der freien Gewerkschaft „Solidarnosc“ und zu Streiks in ganz Polen. Die katholische Kirche war mit den Streikenden. Priester feierten die Messe mit den streikenden Arbeitern. Die Bilder, die am meisten beeindruckten und vom Fernsehen in der ganzen Welt übertragen wurden, zeigten Arbeiter, die vor dem Empfang der Kommunion auf dem Pflaster knieten und beichteten. Der Papst freute sich über die Glaubens_treue der Arbeiter und die friedliche Weise, wie sie sich für das Recht auf Arbeit einsetzten.
Unfaßbar waren die Bilder jedoch für das herrschende Regime und die Beobachter aus den kommunistischen Bruderländern. Wieder das alte Schema: Der Warschauer Pakt bedrohte den polnischen Staat mit Einmarsch und zeigte seine militärische Stärke durch Manöver. In der Folge wurde 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt, „Solidarnosc“ aufgelöst. Tausende wurden inhaftiert und Streiks blutig niedergeschlagen.
Der Papst versuchte, nachdem er sich ein wenig von seinem Attentat erholt hatte, den polnischen Widerstand zu stärken. 1983 besuchte er Polen zum zweiten Mal. Seine Botschaft war klar: „Gebt nicht auf! Steht zusammen! Habt keine Angst!“ Er erreichte zwar die Aufhebung des Kriegsrechts, aber viele Schikanen blieben aufrecht und viele Gefangene weiter inhaftiert. Die freie Gewerkschaft blieb verboten. Sie wurde erst 1989 wieder zugelassen.
Die Welt der Gottesmutter anvertraut Für den Hl.Vater stand der Zusammenbruch des Kommunismus und die Befreiung der Nationen vom Joch des marxistischen Totalitarismus zweifelsfrei im Zusammenhang mit den Offenbarungen von Fatima. Die Welt und in besonderer Weise Rußland sollten der Gottesmutter anvertraut werden, worum sie selbst den Papst und die Kirche gebeten hatte: ,,Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Rußland sich bekehren, und es wird Friede sein; wenn nicht, dann wird es seine Irrlehren über die Welt verbreiten ...“, so hieß es in den ersten beiden Teilen der Offenbarungen. Kardinal Stanislaw Dsziwisz |
Nach dem Attentat befaßte sich Papst Johannes Paul II. näher mit der Botschaft von Fatima. Wie es die Muttergottes dort wiederholt gefordert hatte, weihte er schließlich am 25. März 1984 in Gemeinschaft mit einer großen Anzahl von Bischöfen bei einer Bischofsynode in Rom die Welt dem Unbefleckten Herzen Mariä.
Kardinal Stanislaw Dsiwisz, der ehemalige Sekretär von Papst Johannes Paul II., jetzt Erzbischof von Krakau, meinte zu diesem Ereignis: „Von dem Zeitpunkt an waren die ersten Auflösungserscheinungen in der kommunistischen Welt festzustellen. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern auch die vieler Bischöfe aus den Ländern des Ostens“ (siehe nebenstehenden Kasten).
So wurde wie durch ein Wunder am 11. März 1985 der relativ junge Michail Gorbatschow zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gewählt. Gorbatschow, der von einem Kommunismus mit menschlichem Antlitz träumte, sprach auch von der Notwendigkeit einer Durchgeistigung der Welt, wobei die Religion eine große Hilfe sei.
In den Bruderstaaten Rußlands kam nun Bewegung in das Geschehen, vor allem auch darum, weil Gorbatschow sich nicht mehr in die Angelegenheiten dieser Staaten einmischte und deren Regierungen nunmehr allein gegen den wachsenden Widerstand in den eigenen Ländern auftreten mußten. So wurden Anfang 1989 in Ungarn Parteien und Gewerkschaften zugelassen und jene rehabilitiert, die 1956 den Ungarnaufstand organisiert hatten. Anfang 1989 kam es in Polen nach einer Streikwelle und einer politischen Dauerkrise zu einem runden Tisch, bei dem die wiederzugelassene „Solidarnosc“, die Kirche, andere Gruppen und Vertreter des Staates freie Wahlen vereinbarten.
Danach ging es für die meisten überraschend Schlag auf Schlag. Bei den polnischen Wahlen siegte das „Bürgerkommitee Solidarnosc“. Am 4. September 1989 fand bei einem Friedensgebet in der evangelischen Leipziger Nikolaikirche die erste „Montagsdemonstration“ in der DDR statt, bei der vor allem Reisefreiheit gefordert wurde. Diese Demonstrationen weiteten sich bis zum 9. November immer mehr aus. All diese Aktivitäten geschahen nicht ohne Gefahren und immer wieder schwebte das Damoklesschwert des Eingreifens der nationalen Sicherheitsorgane und Streitkräfte über den Demonstrationen.
Ungarn begann im Mai mit dem Abbau des Eisernen Vorhangs, öffnete später auch seine Grenzen und wurde am 23. Oktober parlamentarische Republik. Viele Ostdeutsche flüchteten über Ungarn und die deutsche Botschaft in Prag ins Ausland. Nach langen Verhandlungen durften auch jene, die nach Prag und Polen geflüchtet waren, über die DDR ausreisen. Bei der Durchreise kam es in der DDR auf Bahnhöfen zu tumult_artigen Szenen. Im Oktober und November demonstrierten immer mehr Menschen in Leipzig, in Berlin und in anderen Städten gegen das Regime und für Reisefreiheit bis nach dem Rücktritt Honeckers die Berliner Mauer am 9. November fiel, dadurch wurde der wesentliche Schritt zur deutschen Einheit gemacht.
Am 17. November wurden friedliche Demonstranten beim Gedenken an Naziopfer in Prag brutal niedergeknüppelt. Danach gab es Massenproteste und einen Generalstreik. Die „Samtene Revolution“ in der CSSR dauerte nur wenige Tage. Es folgten die Umstürze in Bulgarien und Rumänien. Mit Ende des Jahres wurde der Dissident Vaclav Havel als Präsident der tschechoslovakischen Republik angelobt. Viele Menschen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs dankten Gott.
Einige Stimmen deutscher Bischöfe dokumentieren den Wert des christlichen Zeugnisses und des Gebets für diese Wende. So meinte Bischof Walter Mixa von Augsburg: „Der damalige Papst Johannes Paul II., die polnische Gewerkschaft Solidarnosc und die jahrzehntelangen Gebete der Christen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs haben einen entscheidenden Anteil daran, daß es zu diesem Wunder kommen konnte. Es gab gerade in der Kirche immer Menschen, die fest daran geglaubt haben, daß Stacheldraht und Selbstschußanlagen nicht auf Dauer Bestand haben würden.“
Gebet bewegt die Welt Jeder von Euch, der an diesem Rosenkranz-Sühnekreuzzug Österreichs mittut, soll und darf auch wissen, dass unser heute so verborgenes Opfern und Beten nicht vergebens gewesen sein wird. Es wird eines Tages offenbar werden, wie sehr Euer Zeit- und Gebetsopfer Gott und Maria wohlgefällig ist und wahre Ströme von Segen und Gnade für unser Vaterland, die Welt und nicht zuletzt für jeden einzelnen von euch erwirkt hat. P. Petrus Pavlicek |
Freilich waren die Bischöfe über den raschen Fall der Mauer auch überrascht. So schreibt Bischof Franz-Josef Bode von Osnabrück: „Diese plötzliche ,Wende' des Geschehens hat mich tief berührt, zumal ich oft die Schikanen an der Mauer bei vielen Begegnungen zwischen Paderborner und Magdeburger Theologen in Ostberlin erlebt habe. Ein ,Gott sei Dank' in tiefem Sinn war meine Reaktion, weil wir von Kindheit an dafür (für den Fall der Mauer und des eisernen Vorhangs) gebetet hatten.“
Von der Politik und von vielen Medien wurde dies jedoch weitgehend nicht zur Kenntnis genommen. So schreibt der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer 1992: „Und niemand, wirklich niemand, hatte diesen epochalen Zusammenbruch des Sowjetblocks erahnt, (…) kein Experte, kein Geheimdienst, kein Politiker, vermutlich auch keine Wahrsagerin. Wirklich niemand.“
Deshalb sei allen, die für den Frieden in der Welt und in Europa oft unbemerkt und unbedankt gebetet und gelebt haben, herzlich gedankt. Die Herausforderungen unserer Zeit sollten uns motivieren, unser Gebet und unser christliches Leben zu intensivieren.
Dr. Manfred Grandits ist Pfarrer in Sieggraben im Burgenland.