Relativ wenig bekannt ist, was die Kirche über die Gestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse sagt. Im folgenden Auszüge aus zwei Enzykliken Johannes Paul II.
Güter sind für alle da
Gott hat die Erde dem ganzen Menschengeschlecht geschenkt, ohne jemanden auszuschließen oder zu bevorzugen, auf daß sie alle seine Mitglieder ernähre. Hier liegt die Wurzel der universalen Bestimmung der Güter der Erde. (31)
Der Markt: Ja, aber...
Sowohl auf nationaler Ebene der einzelnen Nationen wie auch auf jener der internationalen Beziehungen scheint der freie Markt das wirksamste Instrument für die Anlage der Ressourcen und für die beste Befriedigung der Bedürfnisse zu sein. Das gilt allerdings nur für jene Bedürfnisse, die “bezahlbar" sind, die über eine Kaufkraft verfügen, und für jene Ressourcen, die “verkäuflich" sind und damit einen angemessenen Preis erzielen können.
Es gibt aber unzählige menschliche Bedürfnisse, die keinen Zugang zum Markt haben. Es ist strenge Pflicht der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu verhindern, daß die fundamentalen menschlichen Bedürfnisse unbefriedigt bleiben und daß die davon betroffenen Menschen zugrunde gehen. Diesen notleidenden Menschen muß geholfen werden, sich das nötige Wissen zu erwerben, in den Kreis der internationalen Beziehungen einzutreten, ihre Anlagen zu entwickeln, um Fähigkeiten und Ressourcen besser einbringen zu können.
Gewinn: Ja, aber...
Die Kirche anerkennt die berechtigte Funktion des Gewinnes als Indikator für den guten Zustand und Betrieb des Unternehmens. Wenn ein Unternehmen mit Gewinn produziert, bedeutet das, daß die Produktionsfaktoren sachgemäß eingesetzt und die menschlichen Bedürfnisse gebührend erfüllt wurden. Doch der Gewinn ist nicht das einzige Anzeichen für den Zustand des Unternehmens. Es ist durchaus möglich, daß die Wirtschaftsbilanz in Ordnung ist, aber zugleich die Menschen, die das kostbarste Vermögen des Unternehmens darstellen, gedemütigt und in ihrer Würde verletzt werden.
Die Schöpfung achten
Der Mensch meint, willkürlich über die Erde verfügen zu können, indem er sie ohne Vorbehalte seinem Willen unterwirft, als hätte sie nicht eine eigene Gestalt und eine ihr vorher von Gott verliehene Bestimmung, die der Mensch entfalten kann, aber nicht verraten darf. Statt seine Aufgabe als Mitarbeiter Gottes am Schöpfungswerk zu verwirklichen, setzt sich der Mensch an die Stelle Gottes und ruft dadurch schließlich die Auflehnung der Natur hervor, die von ihm mehr tyrannisiert als verwaltet wird. (...)
Den Markt nicht vergötzen
Es ist Aufgabe des Staates, für die Verteidigung und den Schutz jener gemeinsamen Güter, wie die natürliche und die menschliche Umwelt, zu sorgen, deren Bewahrung von den Marktmechanismen allein nicht gewährleistet werden kann. (...) Hier stoßen wir auf eine neue Grenze des Marktes: Es gibt gemeinsame und qualitative Bedürfnisse, die mit Hilfe seiner Mechanismen nicht befriedigt werden können. Es gibt wichtige menschliche Erfordernisse, die sich seiner Logik entziehen. Es gibt Güter, die auf Grund ihrer Natur nicht verkauft und gekauft werden können und dürfen. Gewiß bieten die Marktmechanismen sichere Vorteile. (...)Diese Mechanismen schließen jedoch die Gefahr einer “Vergötzung" des Marktes ein, der die Existenz von Gütern ignoriert, die ihrer Natur nach weder bloße Waren sind noch sein können. (40)
Demokratie: Ja, aber...
Heute neigt man zu der Behauptung, der Agnostizismus und der skeptische Relativismus seien die Philosophie und die Grundhaltung, die den demokratischen politischen Formen entsprechen. Und alle, die überzeugt sind, die Wahrheit zu kennen, und an ihr festhalten, seien vom demokratischen Standpunkt her nicht vertrauenswürdig, weil sie nicht akzeptieren, daß die Wahrheit von der Mehrheit bestimmt werde bzw. je nach dem unterschiedlichen politischen Gleichgewicht schwanke. In diesem Zusammenhang muß gesagt werden, daß dann, wenn es keine letzte Wahrheit gibt, die das politische Handeln leitet und ihm Orientierung gibt, die Ideen und Überzeugungen leicht für Machtzwecke mißbraucht werden können. Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus. (46)
Der Mensch im Zentrum
Der einzelne wird heute oft zwischen den beiden Polen Staat und Markt erdrückt. Es hat manchmal den Anschein, als existierte er nur als Produzent und Konsument von Waren oder als Objekt der staatlichen Verwaltung. Es wird vergessen, daß das Zusammenleben der Menschen weder den Markt noch den Staat zum Endziel hat. Es besitzt in sich selber einen einzigartigen Wert, dem Staat und Markt dienen sollen. Der Mensch ist vor allem ein Wesen, das die Wahrheit sucht und sich bemüht, sie zu leben und sie in einem dauernden Dialog zu ergründen, der die vergangenen und die künftigen Generationen einbezieht.
Aus der Enzyklika “Centesimus Annus" von Papst Johannes Paul II. v. 1.5.1991
Skandalöse Kluft von Arm und Reich
Die erste negative Feststellung, die es zu machen gilt, ist das Fortbestehen und oft sogar die Verbreiterung des Grabens zwischen dem sogenannten entwickelten Norden und dem unterentwickelten Süden. Diese geographische Sprechweise ist nur eine erste Orientierung; denn man darf nicht übersehen, daß die Grenzen zwischen Reichtum und Armut durch die verschiedenen Gesellschaften selber verlaufen und dies sowohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern. Wie es nämlich soziale Ungleichheiten bis zu den Stufen des Elends auch in reichen Ländern gibt, so beobachtet man entsprechend in den weniger entwickelten Ländern nicht selten Zeichen von Egoismus und Zurschaustellung von Reichtum, die ebenso empörend wie skandalös sind.
Entwicklung: für alle
Die gegenseitige Abhängigkeit ruft durch eine Art von innerer Dynamik und unter dem Druck von Mechanismen, die man geradezu als entartet bezeichnen muß, sogar in den reichen Ländern negative Wirkungen hervor. Im Innern dieser Länder findet man, wenn auch in geringerem Umfang, sehr ausgeprägte Formen von Unterentwicklung. Darum sollte es unbestritten sein, daß die Entwicklung entweder allen Teilen der Welt gemeinsam zugute kommt oder einen Prozeß der Rezession auch in jenen Gegenden erleidet, die bisher einen ständigen Fortschritt zu verzeichnen hatten Diese Tatsache ist besonders aufschlußreich für das Wesen echter Entwicklung: Entweder nehmen alle Nationen der Welt daran teil, oder sie ist tatsächlich nicht echt. (17)
Die Überentwicklung
Diese Überentwicklung, die in einer übertriebenen Verfügbarkeit von jeder Art materieller Güter zugunsten einiger sozialer Schichten besteht, macht die Menschen leicht zu Sklaven des “Besitzens" und des unmittelbaren Genießens, ohne eine andere Perspektive als die Vermehrung oder den ständigen Austausch der Dinge, die man schon besitzt, gegen andere immer perfektere. Das ist die sogenannte Konsumgesellschaft oder der Konsumismus der so viele “Verschwendung" und “Abfälle" mit sich bringt. (...) So ergibt sich folgendes Bild: Da gibt es jene - die wenigen, die viel besitzen -, die nicht wirklich zu “sein" imstande sind, weil sie durch eine Umkehrung der Hierarchie der Werte vom Kult des “Habens" daran gehindert werden; und dann diejenigen - die vielen, die wenig oder nichts besitzen -, die wegen der Entbehrung der elementaren Güter ihre grundlegende menschliche Berufung nicht zu verwirklichen vermögen.
Es geht um die Würde der Person
Die wahre Förderung des Menschen, die im Einklang mit der wesentlichen und geschichtlichen Berufung jedes einzelnen steht, erreicht man nicht, indem man nur ein Übermaß an Gütern und Dienstleistungen nutzt oder über perfekte Infrastrukturen verfügt. Wenn Einzelmenschen und Gemeinschaften nicht die moralischen, kulturellen und geistigen Erfordernisse gewissenhaft respektiert sehen, die auf der Würde der Person und auf der eigenen Identität einer jeden Gemeinschaft, angefangen bei der Familie und den religiösen Gesellschaften, gründen, dann wird sich alles übrige - Verfügbarkeit von Gütern, Überfluß an technischen Hilfsmitteln für das tägliche Leben, ein gewisses Niveau materiellen Wohlstandes - als ungenügend und langfristig als verachtenswert erweisen. Das bestätigt der Herr eindeutig im Evangelium, wo er die Aufmerksamkeit aller auf die wahre Rangfolge der Werte lenkt: “Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber seine Seele verliert?" (Mt 16, 26).
Aus“Sollicitudo rei socialis" von Johannes Paul II. v. 30.12.1987