VISION 20001/2009
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Reden wir doch über die Liebe...

Artikel drucken Eine Eheberaterin über die Probleme junger Menschen, sich zu binden (Èlisabeth Content)

Die Sehnsucht nach Liebe, nach einer treuen Beziehung ist groß - gerade unter den Jungen. Aber groß ist auch die Angst, sich zu binden. Was hält die Jugend so oft davon ab, diesen Schritt zu tun? Falsche Vorstellungen von dem, was Liebe ist?

Welche Hemmungen, welche Sperren trifft man denn häufig bei Singles an?

Èlisabeth Content: Sehr oft irren sie sich über das, was die Liebe letztlich anstrebt. Viele meinen, Liebe bedeute, den anderen glücklich zu machen: Damit legt man sich die Latte aber zu hoch. Und das verschreckt. Das Glück ist Frucht der Liebe. Man verpflichtet sich, einander zu lieben, Weggefährte zu sein - aber nicht dazu, einander glücklich zu machen. Wir stellen eine ziemlich weit verbreitete Fehleinschätzung fest, was es heißt zu lieben. Ich höre oft: “Ich bin mit jemandem zusammen, liebe ihn aber nicht." Tatsächlich aber lieben sie einander, zweifeln aber daran, weil sie die Kluft sehen, die zwischen dem Idealbild und der Person, wie sie nun einmal ist, besteht. Sie meinen, Liebe müsse sich als unumstößliches Faktum aufdrängen. Und dabei: Man kann lieben, ohne daß Leidenschaft oder ein fulminanter Elan im Spiel sind.

Was ist dann aber die Liebe?

Content: Zwischen den Partnern ist die Vorstellung von der Liebe oft sehr unterschiedlich. Und das macht die Beziehung so komplex. Genau das beschäftigt uns sehr in der Arbeit mit Singles: Was heißt das, zu lieben? Für eine junge Frau, die ich kürzlich traf, hieß es Bewunderung; mehr nicht. Für andere heißt es Leidenschaft. Wenn ich meinen Freund nicht bewundere, ihm nicht leidenschaftlich zugetan bin, heißt das dann, daß ich ihn nicht liebe? Die Leidenschaft ist eine Weise zu lieben, die von unserer Gesellschaft stark angepriesen wird, aber man darf dabei die Hingabe, die Geschenke, die gemeinsam verbrachte Zeit... nicht außer Acht lassen. Man kann auf tausend Wegen lieben. Gestern bin ich mit einem Paar zusammengetroffen: Der Ehemann begnügte sich mit der Anwesenheit seiner Frau, um glücklich zu sein. Sie hingegen sehnte sich nach besonderen Erlebnissen zu zweit. Fassen wir zusammen: Lieben - das heißt, vor allem das Wohlergehen des anderen anzustreben, sich in seiner Gegenwart wohlzufühlen und den Wunsch zu hegen, an einem gemeinsamen Leben zu bauen.

Sind das die Kriterien einer guten Wahl?

Content: Trägt der, den ich liebe, zu meiner Entfaltung, zu meinem Wachstum bei? Ist man mit sich zufrieden, miteinander glücklich, entspannt, in der Gegenwart des anderen der, der man eigentlich ist? All das sind gute Vorzeichen. Die Früchte einer guten Unterscheidung im Heiligen Geist bleiben natürlich der Friede und die Freude, wie die Schrift sagt. Die Liebe muß ja ausstrahlen! Noch ein letztes Kriterium: der Wunsch zu teilen, einander mitzuteilen, Intimität zu schaffen. In einer tiefen Liebesbeziehung wächst der Wunsch, daß sich der eine dem anderen langsam offenbart, ohne Angst vor dessen Blick zu haben.

Viele lähmt die Frage: Wie weiß ich mit Sicherheit, daß es der Richtige ist?

Content: Man ist nie ganz sicher. Jede Wahl ist mit Unsicherheit behaftet - in dieser Frage wie in anderen auch. Ich lehne auch die Sichtweise - sie ist immer noch verbreitet - ab, daß irgendwo ein vom Herrn für uns zubereiteter Partner auf uns wartet. Manche Christen haben eine merkwürdige Vorstellung vom Willen Gottes und von der Vorsehung: Sie hätten aus diesem oder jenem Grund das große Los verpaßt - und jetzt sei die Chance dahin! Das große Los ist jenes, das man beschlossen hat zu lieben. Und Gott verpflichtet sich, uns in dieser Entscheidung zur Seite zu stehen.

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Muß man erwachsen sein, um lieben zu können?

Content: Erwachsen ist, wer sich mit seinen Stärken und Schwächen selbst erkennt, und wer imstande ist, eine Wahl zu treffen, die nicht nur von seinen Gelüsten, Gefühlen oder der Anerkennung durch andere bestimmt ist. Wer ans Ziel kommen will, muß zuerst den eigenen Weg gehen, einen einmaligen, bevor er sich in Beziehungen einläßt. Allein sein zu können, ist notwendig, um mit sich selbst zurecht zu kommen. Sonst richtet man sich stets nur nach den anderen oder reagiert auf sie. Da kann man sich etwa fragen: Was wünsche eigentlich ich mir? Bin ich abhängig von der Sichtweise der anderen, um leben zu können? Die Liebe ist eine Gelegenheit zu reifen, eine eigene Welt für sich zu werden, wert, vom anderen entdeckt zu werden.

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Gibt es ein richtiges Gleichgewicht in einer Liebesbeziehung?

Content: Man darf sich nicht selbst im anderen suchen, sich selbst nicht zum Mittelpunkt machen, muß von der Selbstliebe zur Liebe des anderen finden. Dazu muß man sich zunächst selbst entdecken. Man geht nicht auf den anderen zu, um ein eigenes Manko aufzufüllen. Eine erwachsene Liebe hat der entwickelt, dem es gelingt, das richtige Maß zu finden: nicht zu nah, nicht zu fern. Bei einem Paar junger Verlobter, das ich kürzlich traf, fühlte sich das Mädchen richtiggehend erdrückt von der besitzergreifenden Liebe des Verlobten. Er war zu sehr auf ihre Anwesenheit aus. Wir haben dann gemeinsam über den rechten Freiraum nachgedacht und - nach einer Einkehr - haben sie das entsprechende Maß gefunden und sind nun ein glückliches Paar.

Begegnen Sie diesem Phänomen oft in Ihren Beratungen?

Content: Manche erwarten vom anderen alles, verlangen zu viel Aufmerksamkeit. Beim kleinsten Streit sind sie ganz aus dem Häuschen, enttäuscht, wenn die Vorstellungen unterschiedlich sind oder wenn man nicht alles gemeinsam macht. Andere hingegen sind ängstlich dem Unbekannten gegenüber, haben Angst überfordert zu werden und ziehen sich ins Schneckenhaus zurück. Beide Haltungen sind falsch. Man muß in eine gegenseitige Abhängigkeit eintreten, in der man den Wunsch zu lieben und geliebt zu werden respektiert, in der jeder er selbst werden kann, ohne daß sich der andere bedroht fühlt. Jeder kennt sich selbst, seine Bedürfnisse - und lädt diese dem anderen nicht als Last auf die Schultern, nimmt diesen aber trotz aller Enttäuschungen und Unterschiede an. Damit es zu einer rechten Beziehung kommt, muß jeder Zeiten für sich selbst haben (der Sauerstoff für die Beziehung), um dann wieder auf den Geliebten zuzugehen. Achtung: Es geht hier nicht um Selbstverwirklichung, das verträgt keine Beziehung lange.

Èlisabeth Content ist Paartherapeutin, Ehe- und Familienberaterin, das Gespräch ein Auszug aus einem Interview, das Florence Brière-Loth für “Famille Chrétienne" v. 15.-21. 11.08 geführt hat.

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