Für viele, auch geistlich erfahrene Christen ist der direkte Blick auf Gott oft schwierig. Das Licht ist zu hell für die bestenfalls an geistiges Halbdunkel gewohnten Augen. Darum ist die Bekanntschaft mit den Heiligen hilfreich. In ihnen - und schon in den Propheten des Alten Bundes - bricht sich das überhelle Licht Gottes in vielfältigen Farben und wird uns dadurch leichter zugänglich. Die Kirche bestätigt diese Menschen und präsentiert sie uns als Vorbilder für unsere konkreten Lebenssituationen und als Freunde und Fürsprecher.
Einer, der das Licht Gottes in einer bestimmten geschichtlichen Situation erstrahlen hat lassen, ist der heilige Vinzenz von Paul. Im Farbenspektrum Gottes gehört er zu den größten Heiligen der Nächstenliebe. Wie die meisten Heiligen hat er allerdings nicht als solcher begonnen.
Mit 19 Jahren schon wurde der 1581 als Sohn einer armen südwestfranzösischen Bauernfamilie geborene Vinzenz zum Priester geweiht. Die Beweggründe lagen im wesentlichen in einem sicheren Einkommen für sich und seine Familie. (Ungefähr 50 Jahre zuvor hatte das Konzil von Trient das Priesteramt geistlich erneuern wollen. Diese Reformen, etwa auch das Mindestweihealter von 25 Jahren, hatten in Frankreich aber noch keine Rechtskraft.) Vinzenz war hinter dem Geld her.
Genau das wurde zum Anlaß einer sehr besonderen Odyssee: Denn im Jahr 1605 begab er sich nach Marseille, um eine Schuld einzutreiben. Weil er kein Geld hatte, verkaufte er sein Leihpferd und hoffte, den Besitzer später entschädigen zu können. Das war zwar skrupellos und gesetzeswidrig, allerdings demonstrierte er damit seine später so charakteristische Entschlußkraft. Vinzenz brachte den Schuldner, einen Betrüger, hinter Schloß und Riegel und erhielt den größten Teil der Schuld ausgezahlt.
Danach beginnt die göttliche Vorsehung den Läuterungsweg: Auf der Rückreise über den Seeweg wird sein Schiff von türkischen Seeräubern aufgebracht und Vinzenz wird in die Gefangenschaft nach Nordafrika verschleppt. Dort erlebt er das Schicksal eines christlichen Sklaven unter islamischem Regime und mörderischem Klima. Er wird an einen Fischer verkauft, dann an einen Arzt und Alchimisten, der ihn gut behandelt, danach an einen zum Islam abgefallenen Christen und Mönch.
Eine der drei Frauen dieses Renegaten ist von Vinzenz und dessen geistlichen Gesängen bei der Arbeit fasziniert. Sie setzt sich für ihn ein und bewegt ihren Mann offenbar zur Rückkehr zum christlichen Glauben. Nach zwei Jahren Gefangenschaft setzen sich Vinzenz und sein Herr nach Frankreich ab. Dieser bittet dort reuevoll um Wiederaufnahme in die Kirche.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Rom läßt sich Vinzenz in Paris nieder. Seine Gesinnung - wie die vieler Priester seiner Zeit - ist aber immer noch auf eine einträgliche Pfründe ausgerichtet. Er wird Pfarrer von Clichy de Garenne, dann Hauslehrer beim obersten Galeerenkommandanten de Gondi. Erst einige besondere Begegnungen vermitteln den Weg zu einer tieferen Bekehrung: Er lernt Kardinal Pierre de Bérulle kennen, den Begründer des Pariser Oratoriums und Erneuerer des priesterlichen Lebens im Geist des hl. Philipp Neri und macht 1611 bei ihm Exerzitien. Er befreundet sich auch mit dem Bischof von Genf, dem heiliggesprochenen Franz von Sales. In etwa dieser Zeit bietet sich Vinzenz Gott an, stellvertretend für einen berühmten Theologen dessen Glaubenszweifel und Versuchungen zu übernehmen. Von da an lebt er vier Jahre in geistiger Nacht.
Im Jahr 1617 erschüttert ihn die Lebensbeichte eines Bauern. Hinter der Fassade dessen guten Rufes tut sich ein geistiger Abgrund auf. Das veranlaßt Vinzenz, sich systematisch um die geistliche Not besonders der Landbevölkerung zu kümmern. Dazu kommt die erschütternde Erfahrung des materiellen Elends in seiner neuen Pfarre Châtillon-des-Dombes.
Von da an erhellt sich auch die innere Finsternis: im Dienst an geistlich und materiell Armen, später an Galeerensträflingen, Christensklaven im islamischen Machtbereich, Findelkindern und Soldaten bricht das Licht von oben in das Innere von Vinzenz und bestätigt seinen Weg.
Es sind seine Sanftmut und Güte, die dann viele Schüler und Mitarbeiter anziehen, Priester und Laien, Männer und Frauen, Reiche und Arme. Daraus entstehen 1625 die “Kongregation der Mission", nach ihrem ersten Pariser Stammsitz St. Lazare als “Lazaristen" genannt und schon acht Jahre später vom Papst anerkannt, die “Dienstagskonferenzen" für Priester, die “Bruderschaften der Nächstenliebe" und die Kongregation der Barmherzigen Schwestern, die er mit Marie-Louise de Marillac, die später heiliggesprochen wird, 1634 gründet.
Inmitten schwierigster Verhältnisse - Frankreich verwüstet Lothringen, führt Krieg mit dem Kaiserreich und versinkt danach im Bürgerkrieg (“Fronde") - bewährt sich das “System Vinzenz" im Dienst an den Massen von Notleidenden hervorragend. Vinzenz muß auch auf Anfragen nach der Entsendung von Priestern in Frankreich sowie nach Irland, Schottland und Polen eingehen.
Vinzenz ist bezüglich der Zukunft der Kirche Frankreichs sehr pessimistisch: Die Priester sind oft ungebildet, untätig und dem Trunk und den Frauen ergeben. Das Volk ist in Glaubensfragen unwissend und erhält kaum geistliche Anleitung. Die Bindung der Bischöfe und Könige an den Papst ist schwach. Protestantismus und Jansenismus verwirren viele Gläubige. Darum überlegt Vinzenz, Missionare in ferne Länder zu schicken, um dort die Kirche auszubreiten.
Der Versuch in Madagaskar wird aber zum Fiasko. Erst später gelingen Überseemissionen. In Frankreich selbst kommt es zu etlichen neuen Niederlassungen. Unzählige Volksmissionen werden abgehalten. Trotz aller Aktivität hält sich Vinzenz aber an sein Motto “Der Vorsehung nicht vorauseilen" und betet und überlegt jeweils lange vor Entscheidungen. Er lebt im Bewußtsein, das Werk Gottes zu tun.
Er verzehrt sich als geistlicher Meister vieler Seelen. An die 30.000 Briefe stammen von ihm. Von häufigem Fieber geplagt und durch sein gewaltiges Arbeitspensum erschöpft, gibt Vinzenz im Kreis seiner Vertrauten am 27. September 1660 seine Seele zurück an den Herrn. Er ist in einem Schrein in der Kirche in der rue de Sèvres bestattet. 1737 wurde er heiliggesprochen.
Vinzenz wurde zum Vater unzähliger geistiger Söhne und Töchter. Etliche wurden bekannt und kanonisiert: unter ihnen der hl. Justinus de Jacobis ( 1860), die heilige Katharina Labouré ( 1876) und in jüngster Zeit die selige Schwester Lindalva Justo do Oliveira ( 1993). Dazu kommen viele unbekannte Heilige, Priester, Schwestern und Laien, jeder an seinem Platz.
Die Botschaft des heiligen Vinzenz an uns ist eine mindestens dreifache: Ohne private, selbstverantwortete Initiative einzelner, auch einfacher und scheinbar einflußloser Christen wird sich in der Nächstenliebe und Nächstenhilfe nichts tun. Zweitens braucht es die richtige Gesinnung: Nur das Feststehen im ausdrücklichen Glauben der Kirche befähigt zu einem nachhaltigen karitativen Einsatz. Vinzenz ist darin sehr klar: “Man braucht das innere Leben, man muß es erstreben; wenn man darin versagt, versagt man in allem."
Und drittens zeigt er, daß die Lebenszeit intensiv genützt werden muß. Dann kann und soll jeder zu einem Kristall werden, in dem sich das überhelle Licht Gottes bricht und es für die Mitmenschen besser sichtbar macht.