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Dienst durch Führung

Artikel drucken Über das Leitbild männlichen Lebens

Wie lebt man als Mann heute? Was ist das Besondere am Mannsein? Bezüglich solcher und ähnlicher Fragen herrscht seit längerer Zeit eine große Verunsicherung. Im folgenden einige Überlegungen.

Millionen von Jungen in Amerika wachsen in Familien ohne Väter auf. Und so suchen sie sich selbst “Väter" auf den Straßen oder in den krankhaften, albernen Phantasien der Massenunterhaltung: Muskelprotze, die eine ganze Städte niederreißen, oder charismatische Gangsterbosse, die geheime Drogenarsenale von da nach dort gehen und aufregende Dinge geschehen lassen.

Die Kinder haben nicht die Chance bekommen zu erleben, daß es eine versteckte Stärke gibt, die von einer ethischen Sicht und weitblickenden Opferbereitschaft ausgeht. Die männlichen Helden in den Unterhaltungsromanen für Jungen, die vor 80 oder 90 Jahren, mit Gewehr oder Schwert bewaffnet, im Umlauf waren, mochten wohl angehen, aber es gab da auch bebrillte Professoren wie Mr. Chips, dessen Disziplin eine Form von Liebe war.

Ich sehe Männlichkeit als den Antrieb zu führen, als Antrieb zum Dienst durch Führung: zu führen, indem der Mann der echten Führerschaft seines Vaters oder eines Priesters oder Kapitäns in Treue folgt.

Der Mann lebt die Liebe, indem er sich darin übt, in den gewöhnlichen Dingen des Alltags auf sich selbst gestellt zu sein - nicht aus Stolz, sondern aus dem aufrichtigen Wunsch heraus, die anderen für ihre eigenen Pflichten freizuhalten und sich selbst für Dinge freizumachen, die nicht zu den alltäglichen, gewöhnlichen Pflichten gehören.

(...) Der Mann liebt seine eigene Familie, aber er liebt seine Familie auch dadurch, daß er sich widersetzt, der Versuchung zu erliegen, die ganze bürgerliche Ordnung dem Wohlergehen seiner Familie unterzuordnen. Er ist sich bewußt, daß von seiner Pflichterfüllung auch andere Familien außer seiner eigenen profitieren werden.

(...) Es sind die Männer (und nicht die Frauen), die, obwohl sie sicher wildere Geschöpfe sind als die Frauen - was die Quelle sowohl ihrer positiven Dynamik als auch ihrer zerstörerischen Wirkung ist -, die die staatliche Ordnung schaffen, so wie es die Frauen (und nicht die Männer) sind, die die Ordnung im privaten Bereich schaffen. Unsere Unfähigkeit, diese beiden Ordnungen auseinanderzuhalten, und unsere Vernachlässigung beider in der Verfolgung unserer individuellen “Träume" hat uns ein armseliges häusliches Leben hinterlassen, während in den meisten Gegenden in Amerika und wahrscheinlich auch in Europa ein pulsierendes staatsbürgerliches Leben fast ganz der Vergangenheit angehört.

(...) Männer haben eine Leidenschaft für die Wahrheit, und sie suchen diese Wahrheit im Allgemeinen nicht intuitiv, sondern durch komplexe Strukturen verschiedener Art. Das können Machtstrukturen sein oder Strukturen des Intellekts. So haben wir das großartige System der Universitäten, das von den Bettelorden und den Studentenvereinigungen in Europa geschaffen wurde, deren Lehrplan oft einer Art euklidischer Geometrie oder newtonscher Berechnungen theologischer und philosophischer Lehrsätze glich.

Männer entwerfen “Grammatiken" - Mittel, die dazu dienen, kaum miteinander zu vereinbarende Phänomene in ein System zu bringen und die Dinge zu begreifen. Schon die einfache Rückseite einer Baseballkarte mit ihrem ausgeklügelten Datengitter zeugt von dieser Faszination.

(...) Auch Männer, die keinen so starken Intellekt haben, akzeptieren instinktiv solche Ordnungsstrukturen, und hier spielen Emotionen eine wichtige Rolle. Männer können sich, genau so natürlich und spontan, wie sie sich in eine Frau verlieben, die sie vielleicht heiraten wollen, für eine Führerpersönlichkeit begeistern, wobei starke Gefühle der Loyalität und Freundschaft miteinander zusammenspielen.

Wenn eine Gesellschaft die Jungen nicht dazu erzieht, solche Männer zu werden, oder wenn sie erwachsenen Männern nicht erlaubt, zum Nutzen des staatsbürgerlichen Lebens, solche natürlichen Freundschaften mit anderen Männern zu knüpfen, wird sie degenerieren. Das ist keine Theorie. Es ist eine Tatsache, die gerade jetzt in amerikanischen und europäischen Großstädten bestätigt wird.

Anthony Esolen

Der Autor ist Professor am Providence-College im US-Bundesstaat Rhode Island, sein Beitrag ein Auszug aus einem Interview zenit.org v. 6.6.07

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