„Der Islam gehört zu Deutschland“ verkündete der deutsche Bundespräsident Wulff im Vor?jahr und löste eine heftige Debat?te aus. Inwiefern stimmt das, wurde gefragt. Hat der Islam das Denken Europas geprägt, die Gestalt von dessen Einrichtungen: der Spitäler, Uni?versitäten, Gerichten, Parlamenten…?
Wer sich näher mit der Frage beschäftigt, entdeckt klarerweise, daß die Botschaft Christi der Nährboden dieser Errungenschaften ist. Nur sind sich auch die Europäer – obwohl immer noch zu 75% Christen – dieser Tatsache nicht wirklich bewußt. Gleichgültigkeit gegenüber der Botschaft Christi macht sich breit: „Der vorwiegende Eindruck ist beim heutigen Menschen wohl derjenige, daß alle Religionen bei einer bunten Vielfalt von Formen und Gestalten im letzten doch dasselbe sind und meinen…“, diagnostizierte Kardinal Joseph Ratzinger in seinem Buch Glaube Wahrheit Toleranz.
Diese Gleichgültigkeit macht sich die Speerspitze des kirchenfeindlichen Zeitgeistes zunutze, um insbesondere die Lehre der Katholischen Kirche anzugreifen und zu verunglimpfen: Da wurde kürzlich in Avignon das Werk eines „Fotokünstlers“ ausgestellt, „Piss Christ“: ein Kruzifix in einem Plexiglasbehälter mit des „Künstlers“ Urin. „Katholische Fundamentalisten“ hätten das Werk beschädigt, kritisierte Die Presse, ohne ein Wort über diesen unfaßbaren Skandal zu verlieren.
Die Parteinahme der Medien gegen alles, was nach christlichem Glauben riecht, begleitet unseren Alltag. Ein Beispiel gefällig? Dank ihrer Zweidrittel-Mehrheit beschloß die in Ungarn derzeit regierende Fidesz-Partei eine neue Verfassung, die auf die christlichen Wurzeln des Landes verweist. Das ließ bei den meisten führenden Medien die Alarmglocken schrillen. Dazu nur ein Beispiel: „Statt für eine Republik im Herzen der Europäischen Union scheint gerade die Präambel eher für ein Königreich zu Zeiten der Kreuzzüge geschrieben,“ schreibt Die Welt online. Und: Jetzt müßten sich „nicht nur Alleinerziehende und Nichtchristen, sondern auch Homosexuelle nach der Lektüre der künftigen Verfassung als Ungarn zweiter Klasse fühlen.“
In Sachen Religion wird medial mit zweierlei Maß gemessen: Plant der Pastor einer evangelikalen Splittergruppe in den USA eine Koran-Verbrennung, gibt es einen Medienaufruhr und kritische Statements von Spitzenpolitikern weltweit. Lassen hingegen iranische Revolutionsgarden öffentlich 300 Bibeln in Flammen aufgehen (geschehen am 8.2.11), nimmt der Westen kaum Notiz davon. Oder: Werden in Nigeria reihenweise Christen nach dem Wahlerfolg des christlichen Präsidentschaftskandidaten Good?luck Jonathan von Muslimen umgebracht, heißt es in den Medien lapidar, zwischen Christen und Muslimen sei es zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen.
In dieses Bild paßt, daß ein Tiroler Lehrer einem Schüler vor ein paar Wochen das „Grüß Gott“ verboten hat. Begründung: Fabelwesen hätten nichts in einer Grußformel zu suchen; oder daß man dem Brüsseler Erzbischof André-Joseph Léonard schon bei zwei Gelegenheiten Torten ins Gesicht geklatscht hat, weil er die Lehre der Kirche zu Abtreibungen und homosexuellen Handlungen vertritt; oder daß die EU-Kommission einen Schülerkalender herausgibt (3,2 Millionen Exemplare), in denen zwar muslimische Feiertage und jene der Hindus, Juden und Sikhs (!) verzeichnet sind, aber nicht die christlichen.
Es fehlt der Platz, um weitere Beispiele – es gibt sie leider in größerer Zahl – hier anzuführen. Deutlich aber wird: Unter den Eliten und in den Medien macht sich in Europa eine zunehmend glaubens- und kirchenfeindliche Haltung breit.
Mit dieser Glaubensfeindlichkeit verschüttet die moderne Gesellschaft jene Quelle, ohne die der Erfolgsstrom des Alten Kontinents nicht geflossen wäre. Allein die Tatsache, daß Europa als Kontinent bezeichnet wird, deutet auf den christlichen Ursprung hin. Denn rein geographisch gesehen ist es nichts anderes als ein von Binnenmeeren durchsetzter westlicher Ausläufer Asiens.
Europa als Begriff ist nur als kulturelle Einheit verständlich – und zwar als jener Raum, dessen Kultur wesentlich von der Botschaft Christi geprägt worden ist. Sie war es, die in den 1000 Jahren, die wir heute abschätzig als dunkles Mittelalter bezeichnen, die Grundlage für die europäische Lebensform und Zivilisation gelegt hat.
Das sei am Beispiel der Stellung der Frau in der Gesellschaft illustriert: Hier läßt sich ein deutlicher Bruch zur Antike feststellen: Unter christlichem Vorzeichen habe sich im Mittelalter eine Kultur entwickelt, in der die Stellung der Frau weitaus bedeutender und ihr Einfluß viel größer gewesen sei als im Altertum und in der beginnenden Neuzeit, erklärt Historikerin Régine Pernoud in ihrem Werk La femme au temps des cathédrales: „In Rom war die Frau – ohne Übertreibung und ohne Paradox – nicht einmal Rechtssubjekt. Die Frau war einfach nur ein Gegenstand.“ Keine Rede davon, daß Frauen im Römischen Reich öffentliche Funktionen hätten ausüben können. Das römische Familienrecht sah nämlich vor, daß Frauen zu?nächst unter der Herrschaft des Vaters standen, um unter die des Ehemannes zu wechseln.
Die große Wende brachte das Christentum. Dazu Pernoud: „Die Worte Christi ... enthielten für die Frauen keinerlei Hinweis auf eine besondere Form von Schutz, aber sie machten auf besonders einfache, aber auf entwaffnende Art die grundlegende Gleichheit zwischen Mann und Frau deutlich: ,Wer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, der bricht ihr gegenüber die Ehe, und wenn sie ihren Mann entläßt und einen anderen heiratet, so bricht sie die Ehe’.“
Nach christlichem Verständnis konnten Frauen nunmehr ihren Familienstand selbst bestimmen. Dazu ein Theologe aus dem 12. (!)?Jahrhundert, Hugo v. St. Viktor: „In Beziehung zum Mann ist die Frau weder Herrin, noch Magd, sondern Gefährtin.“
Unter christlichem Einfluß hat sich, Pernoud zufolge, auch eine Tradition der weiblichen Bildung entwickelt. In den ersten weiblichen Klostergründungen habe man das Studium der Psalmen, der Heiligen Schrift und der Schriftkommentare gepflegt.
Damit sei ein Stil entstanden, der etwas ganz Neuartiges dargestellt habe und der im Mittelalter von besonderer Bedeutung gewesen sei: „Der doppelte Einfluß, den Kirche und Frauen ausüben, trägt dazu bei, daß die Erziehung des Mannes auf ein Leitbild ausgerichtet wird, das sich später im gebildeten Prinzen verwirklicht, der Sorge für die Verteidigung der Armen trägt.“
Welchen Stellenwert die Frau auch im sozialen Leben einnahm, läßt sich am Beispiel der Klostergemeinschaft von Fontevraud in Frankreich illustrieren. Sie umfaßte ein Frauenstift und ein Männerkloster, und an der Spitze der Gemeinschaft stand – eine Äbtissin! Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch, daß im Mittelalter Frauen mit größter Selbstverständlichkeit Regentinnen waren. Fast alle belgischen und französischen Fürstentümer wurden damals das eine oder andere Mal von einer Frau regiert.
Soweit ein paar Schlaglichter. Die Stellung der Frau ist allerdings nur ein Bereich, an dem deutlich wird, daß die heute hochgeschätzte Gleichwertigkeit der Geschlechter eine christliche Errungenschaft ist. Und Gleiches gilt für vieles andere, was wir zum Wertekanon unserer Zivilisation zählen, wie die Ausführungen von Walter Brandmüller (Seite 6) zeigen.
Diese Tatsache in Erinnerung zu rufen, ist deswegen von großer Bedeutung, weil diese Errungenschaften, die uns so selbstverständlich erscheinen, auf Dauer gefährdet sind, wenn sie nicht von dem Geist gespeist sind, aus dem sie einst entstanden.
Christof Gaspari