VISION 20003/2011
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Europas Kultur enstand aus dem Christentum

Artikel drucken aus „La face interne de L’Histoire“ (Jean Daujat)

In seinem Buch La face interne de l’histoire geht der Historiker Jean Daujat in einem langen Kapitel auf das Mittelalter ein. Seine Kernaussage: „Europas Kultur ist unmittelbar aus dem Christentum hervorgegangen“.

Die Kirche hatte alle authentischen Werte der griechisch-römischen Zivilisation – wobei sie diese christianisierte – bewahrt und sie durch die Periode des Zusammenbruchs durchgetragen. Sie fand in den kirchlichen Einrichtungen, den Bistümern und deren Schulen, den Abteien und Klöstern Unterschlupf. Aus letzteren stammen übrigens sehr oft jene Mönche, die Europa evangelisiert haben. Der Benediktinerorden spielt bei der Entstehung der europäischen Kultur eine zentrale Rolle. Zum Großteil geht diese nämlich von dessen Klöstern aus.
In der allgemeinen Unsicherheit, die während dieser bewegten Jahrhunderte herrschte, fanden die Menschen oft Zuflucht bei den Bischofssitzen, den Klöstern, den Abteien, deren Einfluß sich entfaltete. Über ihren spirituellen Auftrag hinaus sahen sie sich oft genötigt, weltliche Aufgaben zu übernehmen.
Indem sie Europa christianisierte, hat die Kirche ihm auch alle zivilisatorischen Werte vermittelt, die sie selbst aufgenommen hatte. So wird die europäische Zivilisation als eine aus dem Christentum geborene Zivilisation ab dem 11. Jahrhundert in Erscheinung treten.
Am Ende des Römischen Reichs gab es zwar kurze Perioden christlicher Kultur: im Westen zur Zeit des Theodosius, im Osten in manchen Phasen des byzantinischen Reichs. Dabei handelte es sich aber nicht um Zivilisationen, die aus dem Christentum geboren waren. Vielmehr war es eine christianisierte griechisch-römische Zivilisation. Die europäische Kultur aber ist unmittelbar aus dem Christentum hervorgegangen.
Daher bleibt sie – auch als sie sich ab dem 15. Jahrhundert vom Christentum abwendet – in vielen ihrer Einrichtungen weiterhin von ihrem christlichen Ursprung geprägt: etwa in der Sonntagsruhe, im christlichen Kalender, dessen Feste fast alle christlich sind, geprägt aber auch in ihrer Mentalität: der Verpflichtung zur Solidarität, der gegenseitigen Hilfe, der Unterstützung von Bedürftigen.
Es war die Kirche, die sich bemüht hat, der Anarchie, der Unsicherheit, den Kämpfen der unzivilisierten Periode ein Ende zu bereiten, indem sie politische Ämter eingerichtet hat, etwa durch die Krönung von Chlodwig oder Karl des Großen. Nach dem Zerfall des Reiches von Karl dem Großen überlebte das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“, eng mit der Kirche verbunden und in Frankreich wird es der Bischof Adalberon sein, der durch die Krönung von Hugo Capet Ende des 10. Jahrhunderts die Herrschaft der Kapetinger errichtet hat. Sie bleibt eine christliche Einrichtung selbst dann, wenn Throninhaber sich nicht wie Christen verhalten und von der Kirche getadelt werden. Christliche Initiativen stehen auch an der Wiege von sozialen Einrichtungen, Spitälern, Einrichtungen gegenseitiger Hilfe…
Was die Kultur betrifft, war es die Kirche, die Schulen und Universitäten gegründet hat. Die Theologie trug wesentlich zur neuen Blüte der Philosophie in ihrem Dienst bei. Auch die Wiedergeburt der Künste im Dienst des Gottesdienstes ist auf die Kirche zurückzuführen: Architektur, um Gebäude des Kults zu errichten, Skulpturen und Glasfenster, um sie zu schmücken, Buchmalerei, um Meß?bücher zu verzieren, Musik und Gesang im Dienst der religiösen Feiern.
(…) Das hatte zur Folge, daß im Mittelalter die christlichen Konzepte Leitmotive für die Lebensgestaltung und die Kultur waren. Das irdische Leben wurde nicht als Selbstzweck, sondern als Weg zum ewigen Leben und alle Formen menschlicher Bemühungen wurden als Dienst am Reich Christi, als Erfüllung Seines Heilswerks, das allein zählte, angesehen.

Jean Dauja

Übersetzter Auszug aus „La face interne de L’Histoire“. Von Jean Daujat. Tequi ed., Paris 1996, 927 Seiten.t

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