VISION 20003/2009
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Willst Du heilig werden?

Artikel drucken Die Neuevangelisierung Europas erfordert Christen, die sich für Gottes Wirken öffnen (Von Urs Keusch)

Warum ist in vielen Gemeinden, Pfarren, Bibel- und Gebetsgruppen oft so wenig Strahlkraft zu spüren? Warum sind echte Freude, spürbare Liebe, gelebte Gemeinschaft so dünn gesät? Warum geht das Feuer der Begeisterung so schnell aus? - Fragen, denen der folgende Beitrag nachgeht.

Als ich neulich etwas gründlicher über solche Fragen nachdachte, kam mir ein Erlebnis in den Sinn, das ich vor Jahren hatte: Für ein Krippenspiel fehlte uns eine richtige Stallaterne. Ein Schüler, ein Bauernjunge, sagte zu mir: “Wir haben zu Hause eine. Ich bringe sie Ihnen heute Abend ins Pfarrhaus." Es wurde Abend, und der Junge brachte eine alte, verstaubte Laterne mit - ungefähr aus der Zeit “Arche Noah".

“Du glaubst, daß die noch funktioniert?", frage ich den Jungen. Er nimmt ein Streichholz und entfacht die Laterne. In der Tat, sie funktioniert noch. Aber sie gibt kaum mehr einen Schein. Das Glas ist schwarz von öligem Ruß. “Kein Problem", sagt der Junge, “ich werde die Laterne reinigen." Also gab ich ihm Reinigungsmittel, Putzlappen - und nach zwei Stunden kam er vom Keller hoch mit einer hell leuchtenden Laterne. “Sehen Sie, Herr Pfarrer, wie neu sie aussieht!" Tatsächlich, die Laterne glänzte und leuchtete hell. Unglaublich - es war wie ein kleines Weihnachtswunder.

Ist das nicht auch ein Bild, ein Gleichnis für uns Christen? Sind wir bisweilen nicht - oft über längere Zeit - ein bißchen wie diese Laterne? Hat sich im Laufe der Jahre - seit unserer ersten Liebe zu Jesus (vgl Off 2,4) - nicht doch Staub auf unsere Seele gelegt? Ist unsere innere Leuchte bisweilen nicht auch von Ruß belegt, so daß das Licht kaum mehr aus uns heraus zu dringen vermag? Oder brennt das Licht nicht einmal mehr, weil uns das Öl ausgegangen ist? Ja, wir spüren ja selbst, daß wir oft kaum mehr Licht und Wärme abgeben. Und auch die Menschen um uns spüren es. Und das macht uns unzufrieden.

Denn in uns ist der göttliche Ruf gelegt, Licht zu sein, Licht zu geben, Stadt auf dem Berge zu sein (vgl Mt 5,14-16). Und weil wir das nicht sind oder nur zu selten, nur kümmerlich, weil wir uns kaum beharrlich um dieses Licht, dieses göttliche Leuchten bemühen, sind wir oft so unzufrieden, bisweilen auch frustriert. Und dann sind wir es auch mit der Kirche, mit der Glaubensgemeinschaft, mit der Gebetsgruppe, der wir angehören.

Aber: Wie kann die Kirche, die Gemeinschaft, die Bibelgruppe, der ich angehöre, lebendig sein, frisch, leuchtend, vom Heiligen Geist begeistert, wenn ich selbst es nicht bin, wenn nicht wenigstens ich in aller Demut und Geduld immer wieder neu einen entschiedenen Anfang mit dem “Licht-sein" mache?

Mutter Teresa hat einmal von einer ganz wichtigen geistlichen Erfahrung aus ihrem Leben erzählt, als sie gestand: “Anfangs glaubte ich, bekehren zu müssen. Inzwischen habe ich gelernt, daß es meine Aufgabe ist zu lieben. Und die Liebe bekehrt, wen sie will."

Nun stellt sich die Frage: Wie komme ich zu dieser Liebe, die bekehrt, die Gemeinschaft, Einheit, Freundschaft, Licht, ja, ein bißchen Paradies auf Erden schafft? Das ist die Kernfrage für uns Christen. Diese Frage wurde im Laufe der Geschichte der Kirche immer wieder neu gestellt. Und immer fand sich darauf im Letzten nur eine Antwort: Indem ich “rein" werde.

Die geistlichen Lehrer beschreiben den Weg zu Gott - zur Liebe, zur Heiligkeit, zur geistlichen Erneuerung des Menschen - vorzüglich als einen dreifachen Stufenweg. Am Anfang dieses Weges steht die “Reinigung": das Reinwerden für Gott von allen Hindernissen, die Seine Liebe zu uns behindern, von den verunreinigenden Lastern bis zu den geheimsten Empfindungen und Gedanken unseres Herzens.

So wird der Weg freigelegt für die zweite Stufe: die “Heiligung". Die Liebe Gottes kann nun in mir und in meinem Leben Raum gewinnen, sie kann mich umgestalten zu einem neuen göttlichen Leben. Von dieser Stufe führt dann der Weg zur dritten und letzten Stufe: zur “Einigung" im Sinne des Jesuswortes: “Wer mich liebt, den wird mein Vater lieben, wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen." (Joh 14,23)

Rein, d.h. heilig werden, ist die Erstberufung jedes Christen: “Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch euer ganzes Leben heilig werden." (1 Petr 1,15) Rein werden ist das Geheimnis des Anfangs einer wunderbaren und fruchtbaren, übernatürlichen Liebe zwischen Gott und Mensch. Darum preist Jesus Christus jene Menschen selig, die ein reines Herz haben: Sie werden Gott schauen (Mt 5,8). Sie werden Gott schauen, weil sie transparent für Ihn sind, transparent für Seine Liebe.

Oder im Bild unserer rußbelegten Laterne: Weil das Glas gereinigt ist, kann das Licht nun durchscheinen. “Reinheit" ist ein zentrales Thema der ganzen Heiligen Schrift. Ja, Reinheit ist in der Bibel von Heiligkeit gar nicht zu trennen, oft meinen sie dasselbe. “Wasch meine Schuld von mir ab, und mach mich rein von meiner Sünde!... Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz... Wascht euch. Reinigt euch! Laßt ab von eurem üblen Treiben... Christus hat die Reinigung von den Sünden bewirkt." (Ps 51,4; 51,12; Jes 1,16; Hebr 1,3)

Das hat auch Mutter Teresa so verstanden, wenn sie auf die Frage: Was muß ich tun, um heilig zu werden? zur Antwort gibt: “Ich will mich reinigen von allem, was nicht Gott ist; ich will mein Herz entblößen und von allem Geschaffenen befreien... Ich will meinen Willen, meinen Neigungen, meinen Launen und Liebhabereien entsagen und mich als freiwilliger Sklave unter den Willen Gottes beugen." Das ist freilich ziemlich hohe geistliche Mathematik, aber sie trifft den Kern der Sache.

Solche erhabenen Gedanken zur Heiligkeit haben wir wahrscheinlich alle schon mehr als einmal gehört und gelesen. Aber sind wir diesen Weg der Reinigung auch gegangen? Wußten wir überhaupt, wie man diesen Weg geht?

Diese Frage müßten wahrscheinlich die meisten Christen verneinen. Wir Christen lesen heutzutage zwar viele religiöse Zeitschriften und Bücher, “Botschaften", “Offenbarungen", hören uns erhabene Vorträge an, sehen uns ergreifende religiöse Filme an, machen Wallfahrten, aber die reale, tägliche, unermüdliche, geduldige Klein- und Knochenarbeit auf dem Weg der Heiligkeit (der Tugend) tun wir nicht oder meist nur so nebenbei.

Man hat den hl. Thomas von Aquin einmal gefragt, wie man zu großer Heiligkeit finde. Seine Antwort: “Indem man nur ein Buch liest." Dieser Ausspruch wurde so verstanden: Nimm Dir ein Buch, das Dir den Weg zur geistlichen Vollkommenheit (Heiligkeit) weist, und bleib diesem einen Buch treu, wenn es Dir zusagt, wenn Dein Seelenführer es für Dich geeignet hält. Vagabundiere nicht im uferlosen Bücherwald der geistlichen Literatur umher, weil Du glaubst, Du könntest irgendwo ein besseres Buch finden, das den Weg zur Heiligkeit leichter und schneller und vor allem: bequemer aufzeigt.

Irrtum, sagen die geistlichen Lehrer. Bleib bei dem einem Buch: bleib' auf einer Spur, beharrlich und geduldig auf dem einen schmalen Weg, der zum Leben führt. Und geh ihn in großer Geduld, in kleinen Schritten: übe ein, was Du gelernt hast, vertiefe das Erkannte und bau' es aus, schlag' tiefe Wurzeln im Erdreich der Liebe, fang' jeden Tag immer wieder neu an, jede Stunde, und Du wirst das Ziel der christlichen Vollkommenheit erreichen. (Damit kein Mißverständnis entsteht: Das spricht nicht gegen die Lektüre, die zur Vertiefung und Weiterbildung im Glauben führt - aber auch hier gilt die Empfehlung: Besser weniger als viel, dafür nur das Beste!)

Dieser Empfehlung des hl. Thomas von Aquin geht noch eine andere Empfehlung voraus, jene des hl. Franz von Sales, die er den “dringlichsten Rat" nennt. Er schreibt im Vorwort zu seiner Einführung in das Leben aus dem christlichen Glauben: “Willst du dich mit Vorbedacht auf den Weg der Frömmigkeit [Heiligkeit] begeben, so suche dir einen vortrefflichen Mann als Führer und Berater. Das ist der dringlichste Rat, den ich dir geben kann. Was du auch suchst, sagt die Heilige Theresia von Avila, du wirst den Willen Gottes nirgends so sicher finden als auf dem Weg demütigen Gehorsams, den einst alle Frommen gegangen sind."

Damit wäre ich dort angekommen, wo ich hinführen wollte, bei Franz von Sales' Einführung in das christliche Leben, die auch Philothea genannt wird. Franz von Sales (1567-1622) hat mit dieser “Anleitung" der damaligen Not vieler Christen entsprochen, die den Weg der Heiligung gehen wollten, aber nicht wußten, wie.

Das Werk - dem 2. Vaticanum weit vorauseilend - ist geprägt vom Grundgedanken, daß die Frömmigkeit (als Lebendigkeit wahrer Gottesliebe) in jedem Stand und Beruf zu verwirklichen ist. Für Franz von Sales sollen Vertrauen, Freude und weltoffene Menschlichkeit den wahren erlösten Christen auszeichnen. Diese “Anleitung" wurde seither von vielen Päpsten bis in unsere Zeit immer wieder empfohlen.

Da die Anleitung vor 400 Jahren geschrieben wurde, trägt sie verständlicherweise auch ein gewisses barockes Gepräge. Einige Kapitel würden wir heute etwas anders schreiben, gewisse Akzente anders setzen. Ein paar wenige Kapitel müßten auch etwas umgeschrieben werden, so z.B. das 14. “Über die Heilige Messe". Dennoch bleibt dieses Buch ein unübertroffener Klassiker der christlichen Seelenführung, das zu allen wesentlichen Fragen des Christen erschöpfende Antworten und Hilfen gibt, um das Ziel der Heiligung zu erreichen, “ohne die keiner den Herrn sehen wird" (Hebr 12,14).

Auf jeden Fall habe ich als Seelsorger die Erfahrung gemacht: Wer sich auf dieses Werk wirklich einläßt und sich nicht von ersten Anlaufschwierigkeiten aufhalten läßt (wo gibt es diese nicht?), wird darauf nicht mehr verzichten können. Denn er darf erleben, wie an der Hand dieses Buches sein inneres Licht Schritt für Schritt wieder still und wunderbar zu leuchten beginnt, wie er auf diese Weise verborgen und unbemerkt dazu beitragen darf, daß in seiner Pfarre, in seiner Bibelgruppe neuer pfingstlicher Geist aufbrechen kann, wie Liebe wieder um sich greifen wird und wahrer und andauernder geistlicher Aufbruch geschehen kann. Denn “die Liebe bekehrt, wen sie will." Der Herr segne Sie!

Empfohlene Ausgaben von Einführung in das Leben aus christlichem Glauben von Franz von Sales: Band 1 der Deutschen Ausgabe, Eichstätt und Wien, 1959 (oder Taschenbuchausgabe in etwas kleineren Schrift im gleichen Verlag, 1988)

Ich würde auch anraten, diese “Anleitung" mit einem Freund, einer Freundin zusammen zu lesen und immer wieder durchzuarbeiten. Von größtem Vorteil wäre es, sich von einem “vortrefflichen Mann [Frau] als Führer und Berater" begleiten zu lassen.

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